Thursday 11 August 2011

Gedankenfutter

Ich werd zu den Auischreitungen etwas schreiben.

Ein paar Dinge, die von der Presse gerne ignoriert werden, weil es einfach nicht so schön ins Bild passt, das man malen möchte von den Armen und Unterdrückten (und verzogenen und gelangweilten).

1. Die Randalierer kommen aus den schwarzen Teilen der Bevölkerung:

Welch ein dummer, grob fahrlässiger Blödsinn! Ja, in dem Sozialbau, aus dem Marc Duggan kam, leben hauptsächlich Menschen mit Hintergrund aus der Karibik. Die haben den Protest aber nicht los getreten, sondern sind von Opportunisten überrumpelt worden, die das ganze als DIE Gelegenheit gesehen haben, es mal richtig knallen zu lassen. Dass viele der Jugendlichen, die am Ende in die Randale verwickelt waren, einen solchen Hintergrund haben, hat nichts mit rassistischen Ausgrenzungen zu tun, sondern damit, dass die eben in den Gegenden wohnen in denen sie Randaliert haben. Das ist an und für sich keine Ghettoisierung an sich, die Deutschen hier leben auch alle in Richmond, die Türken in Dalston, die Vietnamesen in Shoreditch, die Pakistanis in Whitechapel... man lebt halt gerne mit denen zusammen, mit denen man sich eine Kultur teilt. Dann kommen neue Generationen dazu, die wachsen zusammen auf, und, obwohl man sich längst als Einheimischer bezeichnet, bleibt man da wo man her kommt, weil dort Familie und Freunde sind. Überraschend ist das nicht. (Und in Manchester, Birmingham etc waren es hauptsächlich weiße, die für Zerstörung sorgten.)
Dass die ihre Eigene Gemeinde zerlegtt haben, ist also umso ekelhafter, weil diesen Läden vorher Kunden waren.
Die Jungs aus dem Laden unten kommen auch daher, aber die arbeiten lieber 7 Tage die Woche als sich auf sowas herab zulassen.

2. Die Randalierer sind aus der arbeitslosen Unterschicht und lehnen sich auf gegen die soziale Ungerechtigkeit und die Chancenlosigkeit:

Mein Lieblingsargument. Ich möchte kotzen. Zum einen waren die meisten von denen, die sich wie die Tiere aufgeführt haben, noch Schüler. Das alles wäre anders abgelaufen, wenn nicht gerade Ferien gewesen wären.
Zum anderen würden die, die das ganze losgetreten haben (ich rede nicht von den nicht minder verachtenswerten Mitläufern) dich auslachen wenn du mit Arbeit kommen würdest. Die verdienen selbst mit 15 schon das dreifache von dem, was ein Familienvater am Monatsanfang nach Hause bringt. Wie? Drogenhandel und Waffenschieberei. Die Drogen für die Massen (Ich hab nch nie eine Gesellschaft gesehen, die so gedankenlos alles in sich rein schmeißt wie hier. Ganz vorne voran übrigens die lieben Kinder der Oberschicht. Langeweile ist schon eine schreckliche Seuche), die Waffen für die Nachbarschaft. Sozialarbeiter schätzen, dass wenn man die richtigen Leute kennt, innerhalb einer Stunde an eine Schusswaffe kommen kann. Mit 15. Arbeit? Ha! Steve McQueen's Kollege wurde am Montag Abend von zwei 14 jährigen mit Messern bedroht als er zwei Mädchen nach Hause begleitete, die Angst vor Übergriffen hatten, und wurde ausgeraubt. 14!!! Was machen die auf der Straße mit verbotenen Kampfwaffen? Brotmesser waren das nicht.

3. Die Randalierer sind alle aus der englischen Unterschicht:

Definiere Unterschicht. BITTE! Denn unter denen, die gestern dem Richter vorgeführt wurden, war auch ein Grundschullehrerassistent, in der Ausbildung zum Lehrer. Der verdient genau so viel wie ich, und hat eine Uniausbildung. Und hat fleißig mitrandaliert. Genauso wie die Angestellte des Elektronik Fachhandels, die ihren eigenen Arbeitgeber geplündert hat.

4. Die Randalierer sind alle Einwanderer:

Grober Unfug. Nochmal: Ja, die Bezirke haben einen hohen Anteil von Ausländern, und ja, die sind tradizionell ärmer als andere. Aber was heisst schon arm in einem Land, in dem eine einzelne Person Anspruch auf 250 Miete pro WOCHE vom Staat hat? Familien kriegen 400 pro WOCHE. Nur für die Miete.
Ich verdiene in meinem neuen Job 1000Pfund pro Monat, mehr wenn ich Überstunden mache am Wochenende. für einen Einstiegsjob normal. Davon muss ich aber nicht nur Miete, sondern auch Rechnungen, und Lebensmittel kaufen. Wenn dann noch was übrig bleibt, kann ich schauen was ich sonst damit mache.

Einwanderer gibt es hier viele, denn Jobs gibt es immer. Ich habe mich beworben und hatte am gleichen Tag ein Interview arrangiert. Die Leute fliegen doch nicht um den halben Globus, damit sie danach in Tottenham statt Islamabad in der Gosse sitzen. Im Gegenteil. Die jenigen, die am meißten zu leiden hatten, sind selbst hierher gekommen um sich etwas aufzubauen. Und das wurde ihnen kaputt gemacht.
Menschen wie Siva zum Beispiel, dessen Shop hier um die Ecke ist: http://www.helpsiva.com/
Auf den Bildern sieht man auch so schön, dass da sehrwohl auch weiße Kids dabei waren. Soviel zu der These. Menschen, die mit den Verhandlungen zu tun hatten, sagten auf Twitter, es sei alles dabei gewesen. Vom Arbeitslosen bis zum Anwaltssohn, vom Rabbi bis zum Hindu, alle Farben alle Glaubensrichtungen, alle Herkünfte. Ein Deutscher war auch dabei.

Und letzten Endes waren es die Türkischen Nachbarn, die uns hier beschützt haben. Und jetzt immer noch eine Straßenwacht eingerichtet haben, mit der Polizei zusammen.


5. Die lassen ihre Wut über den ungerechten Zustand (x) raus:

Mein lieber Scholli. Die Kids hier kommen gratis in die Sportanlagen (Schwimmbad zum Beispiel), in die Museen, kriegen Vergünstigungen in Kinos und Theatern, können umsonst mit Bus und Bahn fahren.

Und da haben dann welche die Dreistigkeit zu behaupten, dass die nur Scheiße bauen, weil es kaum Jugendclubs gibt? Gehts noch? Es braucht hier manchmal nicht mehr als einen, der die falsche Postleitzahl hat, um abgestochen zu werden. Die sogenannten Postcode-Wars beherrschen manchen Sozialbau, wie auch den, aus dem Marc Duggan kam. Da stechen sich Kinder ab, weil einer aus der falschen Straße kommt.

Jugendclubs my arse. Geh schwimmen du nutzloses Rindvieh!

Jaja, der Staat, der böse, der schuldet euch was. Nur was denn? Dach über dem Kopf, Essen auf dem Tisch und für Elektronik ist auch drin, schließlich hat man sich über Blackberries verabredet, wo man als nächstes zu schlägt. Und die Kinderbanden, die fleißig mitgeplündert haben, lieferten die Sachen ab bei Menschen in BMW und Mercedes. Ich schulde euch was? Ich glaub ich spinne.

6. Wenn kein anderes Mittel mehr wirkt, muss man zur Gewalt greifen:

Wisst ihr, wären die Randale in Italien, gegen das dortige Parlament, ich würde das ganze gut heißen. Spanien und Griechenland haben meine Unterstützung.Da sind Menschen, die wollen sich was erarbeiten und können nicht, weil die Strukturen, in die sie hineingeboren wurden, komplett verseucht sind mit Korruption.

Auch war dass hier kein blanker Hass auf das System. Die Verzweiflung war spürbar, am Anfang, in Tottenham,  als der Tod von Marc Duggan noch frisch, und viele Fragen unbeantwortet waren.
Das hat aber nichts mehr mit den Leuten zu tun, die sich zum "shoppen ohne zahlen" verabredet haben, und geziehlt auf Elektronikläden und Sportgeschäfte gezielt haben. Und Fahrräder.
Hier ging es um Gier, immer mehr abgreifen zu wollen, als man feststellte, dass die Polizei nicht eingreift.

7. Man muss sich ja auch irgendwie schuldig fühlen, weil die Gesellschaft ja eigentlich schuld ist.

Ich frage mich ganz ernsthaft. Da sitzt einer verletzt am Boden und weint, weil ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Fresse poliert wurde, und er nun einen gebrochenen Kiefer hat, da kommt einer, tut so als wolle er helfen, und hintenrum wird der armen Sau der Rucksack ausgeräumt. Da werden Leute, die verletzte Behandeln, mit Holzlatten verprügelt. Da werden Menschen zu Tode gefahren, nachdem der Fahrer extra auf den Bürgersteig gefahren ist, um die drei Jungs, die ihr zu Hause verteidigen wollte, zu töten.

Da soll ich mich schuldig fühlen? Geht's noch?

Wer sich schuldig fühlen sollte, das sind die (gott sei Dank wenigen), die Menschen hervorgebracht haben, denen nichts heilig ist, die keinen Respekt vor dem Leben und der Unversehrtheit anderer haben, die außer sich selbst nichts sehen, als dass das, was sie haben, nicht genug ist, deren Gier ins unermessliche geht, und die bereit sind, für ein bisschen Spaß zu töten.
Dass in den Häusern, die gebrannt haben, niemand umgekommen ist, grenzt an ein Wunder. Denen haben wir das nicht zu verdanken.

Die Politiker, die Polizeistellen gestrichen haben, und somit dafür sorgten, dass man rauben und töten konnte, ohne bestraft zu werden, ein Umfeld, dass diesen Menschen gelehrt hat, dass es für solche Taten keine Strafe gibt.

Das was hier passiert ist war kein Aufstand, das war die Demonstration einer Selbstbewussten Gruppe Jugendlicher, die genau wusste, dass ihnen eh nichts passieren kann, weil sie noch nie für etwas gerade stehen mussten.

Das hier ist kein Bild aus dem zerbombten London des zweiten Weltkriegs. Da haben bis vor kurzem noch Menschen gewohnt, die eh schon kaum über die Runden kamen. Und wofür?
Damit um 9 Uhr morgens ein paar Mädels auf der Strasse stehen, lachend, weil man gerade eine gestohlene Flasche Wein aufgemacht hatte, die man gestohlen hat, weil ja eh alle Ladenbesitzer reich sind (sic!), und das ganze als tierischen Spaß empfinden.

Das hätte auch ohne weiteres mein Haus sein können. Die Randale waren direkt vor meiner Tür, hätten die den Laden unten in Brand gesetzt, das wäre es gewesen. Und wofür? Ich hab in den letzten Tagen ständig Angst gehabt, oft geweint, mich schuldig gefühlt, weil ich froh war, dass mein Haus noch steht, habe mich traurig für die gefühlt, die alles verloren haben, und immer gedacht, das hätte auch mir passieren können.
So wie wir das alle getan haben in der Nachbarschaft. Die letzten Tage waren die Hölle. Und wer mir da aus einem Abstand von mehreren Hundert bis tausend Kilometern kommt und behauptet er oder sie wüssten um die Probleme der hiesigen Gesellschaft, der kann mich ehrlich mal!


5 comments:

  1. Dem kann ich mich nur anschließen

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  2. Ich denk' mir halt: Wenn sie tatsächlich unzufrieden sind, sollen sie demonstrieren - friedlich. Wenn plötzlich zehntausende Jugendliche mit Transparenten auf den Straßen stehen, dann hat das allemal eine glaubwürdigere Wirkung, als wenn sie Läden plündern.

    Aber es geht wohl eher ums Plündern und Brandschatzen als ums Demonstrieren.

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  3. Ja, soziologisches Verhalten ist ein komplizierter Prozess, auch wenn mancher es gern einfach hätte.

    Ein schöner Ausschnitt aus Deiner persönlichen, subjektiven Sicht der Dinge. So hat jeder seine eigene Interpretation.

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  4. die bilder sind nicht zu ertragen. keine ahnung was ich machen würde, würde ich bei euch leben...?! Angst haben..?!

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